Dr. Franz Schellhorn, der Leiter der Agenda Austria, hat in der Wochenzeitung PROFIL einen Artikel geschrieben …
Wer in den vergangenen fünf Jahren nur die Inflation abgegolten bekam, verdient heute um acht Prozent mehr – zahlt aber um elf Prozent mehr Steuern.
Wahlkämpfe sind nicht nur Zeiten der fokussierten Unintelligenz. Sondern auch der wahren Worte: „Was wir dem Steuerzahler antun, grenzt teilweise an Ausbeutung.“
Dieser akkurate Satz ist genau vier Jahre alt, wie auch jener: „Es gibt kaum Länder im OECD-Raum, wo die Differenz zwischen Brutto- und Nettogehalt so groß wie in Österreich ist.“
Gesprochen hat sie der damalige Außenminister Sebastian Kurz, wenige Wochen vor der Nationalratswahl 2017. Der akkuraten Zustandsbeschreibung folgte das Versprechen, die Steuer- und Abgabenbelastung auf unter 40 Prozent des BIP zu senken.
Das Versprechen wurde nicht eingelöst. Und das liegt nicht nur an Corona. Denn in den ersten beiden Regierungsjahren ist die Abgabenbelastung sogar noch leicht angestiegen. Und der Staat kassiert noch immer über 47 Prozent der Arbeitsleistung.
Das ist viel zu hoch. Auch daran hat sich in den vergangenen vier Jahren wenig geändert. Mit Deutschland und Belgien liegen nur zwei Länder schlechter als Österreich. Selbst in Schweden sind es „nur“ 42,7 Prozent. Würde ein Durchschnittsverdiener hierzulande ähnlich stark besteuert wie ein schwedischer, blieben ihm 240 Euro netto mehr im Monat.
Nun kann man der Regierung nicht vorwerfen, nichts getan zu haben. Neben der teilweisen Rückerstattung der zu viel abgeführten Lohnsteuern wurden Familien spürbar entlastet und die Steuersätze für die untersten Einkommen reduziert. Dennoch pendelt die Besteuerung des Faktors Arbeit seit knapp 20 Jahren zwischen 47 und 50 Prozent. Wie das trotz mehrerer Entlastungen möglich ist?
Ganz einfach: indem der Staat Inflation besteuert. Der technische Begriff dafür lautet „Kalte Progression“, wobei das Problem schon mit der Temperaturangabe beginnt. „Heiß“ würde es besser treffen. In der Praxis sieht das so aus: Eine Arbeitnehmerin, die vor fünf Jahren 30.000 Euro brutto im Jahr verdient hat, zahlte damals 2528 Euro Lohnsteuer im Jahr. Wurde ihr Einkommen jährlich um die Inflation erhöht, bekommt sie heute rund 8,2 Prozent mehr Lohn. Aber sie zahlt um 11,6 Prozent höhere Steuern, obwohl sie nicht mehr verdient, weil ihr ja nur die Teuerung abgegolten wurde.
Durch das Nichtanpassen der Tarifstufen und der Absetzbeträge wird ohnehin schon hoch besteuerten Bürgern noch einmal Geld aus den Taschen gezogen – ohne, dass sie davon etwas mitbekämen.
Für den Staat ist das ein sensationelles Geschäft: Ein Prozentpunkt Inflation spült rund 250 Millionen Euro in die Staatskasse. Seit der letzten Steuerreform 2016 sichert sich der Staat enorme Zusatzeinnahmen, allein heuer sind es 2,5 Milliarden Euro.
Über politisch groß angekündigte Entlastungen wird nur ein Teil des abgelieferten Geldes wieder an die Bürger retourniert. Aber selbst dieser Prozess kommt in Österreich nicht ohne Umverteilung aus. Wer mehr über die kalte Progression abgeliefert hat, bekommt weniger davon zurück. Das läuft hierzulande dann unter „sozialer Gerechtigkeit“.
Das alles könnte man noch einigermaßen argumentieren, hätte Österreich einen sanierten Staatshaushalt mit einer verträglichen Staatsverschuldung vorzuweisen. Aber auch hier lohnt ein Blick nach Schweden. Der hervorragend ausgebaute nordische Wohlfahrtsstaat hat nur halb so hohe Staatsschulden pro Kopf wie Österreich.
Wobei die hohe Pro-Kopf-Verschuldung ja noch mit hohen Investitionen in die Modernisierung der heimischen Staatsstrukturen zu rechtfertigen wäre. Auf der Suche nach Modernisierungen wird man allerdings eher im niedrig verschuldeten Schweden fündig als im hoch verschuldeten Österreich. Hierzulande wird mit steigenden Schulden und immer höheren Steuereinnahmen traditionellerweise das Nichtreformieren finanziert.
Ein Prozentpunkt Inflation bringt dem Staat 250 Millionen Euro.
Die Bürger quittieren all diese Vorgänge mit einem gleichgültigen Achselzucken. Niemand, der dagegen aufbegehrte. Der Zorn der Bürger gilt eher niedrigen Nettolöhnen, hinter denen sie schlecht zahlende Firmen vermuten, nicht dem ausbeuterischen Staat.
Das wäre anders, wenn alle Arbeitnehmer ihre Arbeitskosten ausbezahlt bekämen und selbst die Beiträge an die Sozialversicherung und das Finanzministerium abliefern müssten. So wie das in der Schweiz der Fall ist.
So würde der Druck auf die Regierung sprunghaft steigen, den wahren Worten auch entsprechende Taten folgen zu lassen. Indem etwa die Steuerstufen und die Absetzbeträge an die Inflation angepasst werden und der Kalten Progression endlich der Garaus gemacht würde.
Zudem braucht es eine Ausgabenbremse nach schwedischem Vorbild. Diese ist nicht jetzt einzuführen, sondern jetzt vorzubereiten. Damit sie nach überwundener Krise einsatzbereit ist, um die zügellose Ausgabenlust der Politik zu bremsen und damit die Basis für eine nachhaltige und spürbare Entlastung zu schaffen. Stattdessen werden immer größere Teile der Steuereinnahmen dazu verwendet, sie über außertourliche Pensionserhöhungen an die Rentner zu verteilen. Wahlkämpfe sind eben nicht nur Zeiten der wahren Worte. Sondern auch der fokussierten Unintelligenz.
franz.schellhorn@profil.at
Wir Bürgerinnen und Bürger sollten uns bewusst sein, dass wir mit der kalten Progression im Regelfall bei Erhöhungen von Gehältern, Löhnen und Pensionen eine Inflationsabgeltung nicht erhalten. In diesem Kontext fällt mir noch ein, dass es auch andere Mechanismen gibt, die Steuerlast hoch zu halten: War jemand z. B. 2020 8 Monate arbeitslos und hat AMS Bezug erhalten, war dieser selbstverständlich steuerfrei! Wenn aber nun die weiteren 4 Monate einer Beschäftigung nachgegangen wurde, für die Lohnsteuer zu entrichten war, geht die Finanz beim Jahresausgleich wie folgt vor: Da 8 Monate von „steuerfreien Bezügen“ profitiert wurde, kommt es für die 4 Monate der Berufstätigkeit zu einem sogenannten „Progressionsvorbehalt“ – die Steuer für die 4 Arbeitsmonate wird deutlich angehoben.
Die diesbezügliche Bestimmung liest sich wie folgt:
Progressionsvorbehalt:
Gemäߧ 3 Abs. 1 Z 5 lit. a EStG ist das versicherungsmäßige Arbeitslosengeld bzw. Die Notstandshilfe von der Einkommensteuerbefreit. Nach § 3 Abs. 2 EStG sind, falls der Steuerpflichtige steuerfreie Bezüge wie zB Arbeitslosengeld nur für einen Teil des Kalenderjahres erhält, die für das restliche Kalenderjahr bezogenen zum laufenden Tarif zu versteuernden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für Zwecke der Ermittlung des Steuersatzes auf einen Jahresbetrag umzurechnen. Dabei ist das Werbungskostenpauschale noch nicht zu berücksichtigen. Das Einkommen ist mit jenem Steuersatz zu besteuern, der sich unter Berücksichtigung der umgerechneten Einkünfte ergibt. Die festzusetzende Steuer darf jedoch nicht höher sein als jene, die sich bei Besteuerung sämtlicher Bezüge ergeben würde.
Zweck dieser Regelung ist es, einen rechtspolitisch unerwünschten Effekt zu beseitigen, der sich ergibt, wenn die steuerfreien, sozialen Transferleistungen in einem Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) mit anderen, steuerpflichtigen Einkünften zusammentreffen. Dies könne, insbesondere im Fall saisonaler Arbeitslosigkeit, wegen der zum Teil erheblichen Milderung der Steuerprogression dazu führen, dass das Nettoeinkommen eines nicht ganzjährig Beschäftigtenunter Berücksichtigung der im Wege der Veranlagung erhaltenen Einkommensteuer höherwäre als das Nettoeinkommen eines ganzjährig Beschäftigten. Um nun diese Milderung der Steuerprogression auszuschließen, hat sich der Gesetzgeber dazu gefunden, den Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) auf jenen Zeitraum zu reduzieren, in dem Erwerbseinkünfte erzielt werden. Dies soll dadurch erreicht werden, dass die steuerpflichtigen Lohnbezüge für die Dauer des Bezuges von Transferleistungen auf fiktive Jahreseinkünfte hochgerechnet werden. Für den Fall des Bezuges niedriger steuerpflichtiger Erwerbseinkünfte im Restzeitraum des Jahres ist überdies noch vorgesehen, dass aus der Umrechnung keine höhere Steuerbelastung als im Falle der Vollbesteuerung der Transferleistung als steuerpflichtiger Arbeitslohn eintreten darf. Daher ist die sich ergebende Steuer jener gegenüberzustellen, die sich bei einer Vollbesteuerung der Transferleistungen als steuerpflichtiger Arbeitslohn ergeben würde (Kontrollrechnung). Maßgebend ist jeweils die niedrigere Steuerbelastung.
Ich denke, dass kaum jemand bescheid über diese Regelung weiß. Würde das Gesamteinkommen (Arbeitslosengeld und Gehalt) im normalen Weg für das gesamte Jahr besteuert werden, würde wohl die ganze bezahlte Lohnsteuer für die 4 Monate zurückerstattet werden. Durch den Progressionsvorbehalt ist das dann nicht mehr möglich!
Christian Aichmayr