Im Rahmen des Filmfestivals „Crossing Europe“ welches vom 01.06.-06.06.2021 in Linz stattfand, habe ich mit Aliaksei Paluyan gesprochen, der seinen Film „Courage“ vorgestellt hat. Dieser verfolgt die öffentlichen Proteste in Belarus im Spätsommer 2020 gegen die fingierte Wahl des Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko, bei denen der staatliche Sicherheitsapparat friedlichen Demonstranten mit Brutalität begegnet. Beim Einstieg in „Courage“ wird man zuerst mit Bildern konfrontiert, die zeitlich schon lange zurückliegen. Auch vor Jahren gab es in Belarus immer nach Wahlen von Lukaschenko, der bereits seit 1994 an der Macht ist, Proteste und Demonstrationen. Die verschwommene Auflösung der analogen Videos lässt hier die 90iger Jahre vermuten, also 20 Jahre vor dem digitalen Zeitalter. Diese Bilder bleiben jedoch stoische Dokumente einer Vergangenheit, welche die Gegenwart weiterhin stark in Aufruhr versetzt und Brücken zwischen Generationen von BelarussInnen und Belarussen schlägt, die auch heute wieder den Kampf gegen das Regime Lukaschenkos kämpfen.
Das von der Regierung verfolgte „Freie Theater Belarus“ – welches im Film gezeigt wird, ist bereits seit 2005 ein Protagonist des Kampfes und bleibt seiner Berufung des Widerstands treu, indem es durch seine heimlichen Werke die Verbrechen des Lukaschenko-Regimes offenlegt. Wie für viele andere in Belarus, sind Wahrheit und Opposition für die Theatergruppe im öffentlichen Alltag normalerweise unaussprechbar. Sie proben heimlich, ihr Regisseur sitzt im Exil und gibt seine Anweisungen über Liveübertragungen per Laptop. Der Film folgt den Aktionen von drei aktiven Mitgliedern, Maryna, Pavel und Denis im Theater und während ihrer Teilnahme an den massiven Protesten auf der Straße, wo sie vom Recht ihrer freien Meinungsäußerung Gebrauch machen. Doch wie vielen anderen friedlich Demonstrierenden, schlägt ihnen dabei pure Gewalt entgegen.
Ruhig und standfest führt die Kamera durch das Land von Menschen in Bewegung. Aufbruch und Hektik vermitteln die Akteurinnen und Akteure selbst – die Kamera bleibt still, zumindest solange, bis es während der gewaltigen Proteste einfach nicht mehr geht. Krachen, Knallen, Blut und Geschrei begleiten die Demonstrationen. Es werden jede Menge an Emotionen während dem Warten vor dem Gefängnis oder auch bei den diversen Diskussionen über die Zukunft der eigenen Kinder spürbar. Die Bilder bewegen, die Kamera hält gelassen fest.
Doch nicht nur die einzelnen Erzählstränge des Dokumentarfilms zeigen Bewegung. Der Film fängt darüber hinaus auch ein Gesamtbild ein, wie sich ein Land verändert. Immer mehr Menschen gehen auf die Straßen, immer mehr Frauen warten vor dem Gefängnis auf Angehörige, immer mehr Streitkräfte stellen sich den wachsenden Massen entgegen. Selbst die „Alten“, die zu Beginn des Films fragen, wofür sie noch kämpfen sollen, stehen am Ende wieder auf!
Mit welchen Mitteln ist Veränderung eigentlich möglich und realistisch? Denis, Pavel und Maryna diskutieren oft über ihre Optionen, die ihnen übrigbleiben. Die Flucht ins Exil kommt dabei selten in Frage – und auch das Dilemma „Wie viel sind wir bereit (für unsere Kinder) zu geben?“ bleibt. Bezeugt wird, dass vor allem die Massen von Menschen das Mittel sind. Je mehr Widerstand leisten, desto schwieriger wird es, diesen zu brechen. Es braucht Menschen, die den Mut haben, auf die Straße zu gehen. Zusammenhalt und Courage als treibender Widerstand. Und nicht zuletzt, die Kunst – wie eben das Theater – als Weg des Bewusstmachens. Auch die Augen – der sonst mit Gesichtsmasken verhüllten Streitkräfte des Sicherheitsapparates, die immer wieder eingeblendet werden, geben möglicherweise ein wenig Hoffnung. Es liegen bei manchen weniger Stärke oder Entschlossenheit in ihrem Blick, sondern vielmehr eine Zerrissenheit wie auch innerer Konflikt.
Mit kinematografischer Sensibilität und politischer Entschiedenheit setzt Aliaksei Paluyan verschiedene historische Momente und Räume der Unruhe in Bezug zueinander – das Theater und die Strassen, alle mit ihrer eigenen Inszenierung –, um zu zeigen, dass sie demselben Raum und der Zeit des übergreifenden Widerstandes angehören.
Die Interviewsituation hat mich sehr berührt hat. Aliaksei, der sehr gut deutsch spricht, hat spontan und offen über sein Heimatland gesprochen … spürbar war aber auch die Ohnmacht, die er angesichts der dramatischen Ereignisse – die er filmisch festgehalten hat – empfunden hat. Und die letztliche Ausweglosigkeit … denn aktuell deutet nichts darauf hin, dass sich die Gegebenheiten entspannen könnten. Dreißig Jahre sind es her, dass Belarus selbständig ist und nicht mehr der Sowjetunion angehört – die jungen Menschen dort, wollen nicht von Westeuropa ausgesperrt sein – ein Anliegen, welches ich sehr gut verstehen kann …
Christian Aichmayr