Ich kann es mir nicht verkneifen, auf die aktuellen Äußerungen von Arbeits- und Wirtschaftsminister Dr. Martin Kocher einzugehen:
Kocher hatte in einem „Kurier“-Interview zu Beginn des Februar 2023 gemeint: „Wir brauchen weitere Schritte, um Vollzeitbeschäftigung attraktiver zu machen, wie eine geringere Abgabenbelastung und noch treffsichereren Einsatz von Sozialleistungen. In Österreich wird bei Sozial- und Familienleistungen wenig unterschieden, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen.“
Weiters hielt er fest: „Gerade vor dem Hintergrund des oft geäußerten Vorwurfs der Gießkanne ist ein treffsicherer Einsatz von Steuer- und Beitragsmitteln zentral. Selbstverständlich geht es bei der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung auch um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch qualitative Kinderbetreuung und attraktive Arbeitsbedingungen“.
Die Unternehmen würden bereits auf die demografischen Veränderungen reagieren und Mitarbeiter bitten, länger im Berufsleben zu bleiben. „Es wird aber auch bei den Sozialpartnern ein Umdenken stattfinden müssen, weil ältere Arbeitnehmer am Ende ihrer Erwerbstätigkeit kollektivvertraglich oft mehr verdienen und damit teurer sind“, so der Appell des Ministers.
Und Kocher warnt davor, die langfristigen Folgen von Teilzeitjobs zu negieren. „Wer mit 68 Jahren in Pension geht, der erhält deutlich mehr Pension im Monat als bei Pensionsantritt mit 62 Jahren. Aus wirtschaftlicher Betrachtung zahlt es sich jedenfalls aus, länger zu arbeiten“, gibt der Arbeitsminister zu bedenken.
Inzwischen wurde ja schon wieder zurückgerudert und Kocher hat seinen Vorschlag, Sozialleistungen bei Teilzeitarbeit zu kürzen, relativiert. Mütter mit Betreuungspflichten seien natürlich tabu, sagte er zuletzt vor dem Ministerrat. Ihm gehe es dabei vor allem um junge Menschen ohne Betreuungspflichten oder gesundheitliche Einschränkungen. Grundsätzlich zeigte er sich froh, dass nun eine Debatte über Teilzeit- und Vollzeitarbeit geführt werde. Österreich müsse den Wohlstand erhalten.
Wie sieht es denn nun konkret mit der Teilzeitarbeit aus: Im Jahr 2021 waren in Österreich rund 1,27 Millionen Menschen teilzeitbeschäftigt, die meisten davon unselbstständig (1,13 Millionen) und nur ein geringer Teil selbständig (133.500) tätig. Die Teilzeitquote lag bei insgesamt 4,3 Millionen erwerbstätigen Personen bei 29,4 Prozent. Als teilzeitbeschäftigt gelten jene Personen, die weniger als 36 Stunden pro Woche arbeiten. Während die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeitkräften bei 41,9 Stunden liegt, arbeiten Teilzeitkräfte rund 21,5 Stunden. Hier gibt es kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Was genau der Minister unter freiwilliger Teilzeitarbeit versteht, blieb bislang eher unklar. Eine eindeutige Definition ist aber schwierig. Eurostat-Daten von 2021 zeigen, dass es in Österreich relativ wenig unfreiwillige Teilzeitarbeit gibt. Der Wert liegt bei 9,2 Prozent, der Wert bei Frauen liegt hier sogar noch unter jenem von Männern. Es muss aber dazugesagt werden, dass Eurostat die Unfreiwilligkeit nur mit fehlenden Vollzeitstellen definiert. Man würde gerne mehr arbeiten, findet aber nichts. Die Statistik Austria weist national auch andere Gründe aus: Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen, Aus- und Fortbildung, familiäre Gründe. Es gibt auch eine Kategorie „keine Vollzeittätigkeit gewünscht“. Mehr als ein Viertel der Teilzeitkräfte (Frauen: 27,3 Prozent, Männer: 28,5 Prozent) wollen nicht mehr arbeiten. Im Langzeitvergleich gibt es hier ein deutliches Plus. Bei der Arbeitskräfteerhebung 2004 erklärten nur 15 Prozent der Teilzeitbeschäftigten, nicht mehr arbeiten zu wollen.
Ist nun Teilzeitarbeit ein reines Frauenthema? Nein – nicht ganz: Der Blick auf die Statistik zeigt, dass der Großteil der Teilzeitarbeit in Österreich von Frauen geleistet wird: Lediglich 50,4 Prozent aller erwerbstätigen Frauen arbeiten Vollzeit. Im Jahr 2021 waren knapp über eine Million Frauen in Teilzeit, bei Männern lag der Wert bei 266.321 Personen, das ist nur jeder zehnte erwerbstätige Mann.
Die Motive für Teilzeitarbeit sind dabei sehr unterschiedlich. Mehr als ein Drittel der Frauen nennt Betreuungspflichten als Grund, bei Männern war das nur bei 6,8 Prozent der Fall. Umgekehrt sieht es bei Aus- und Fortbildung aus: Bei Männern sind es 20, bei Frauen lediglich 8,7 Prozent.
Von meinen langjährigen Erfahrungen als Personalist in einem privaten Sozialunternehmen kann ich nur berichten, dass die Realität (zumindest war das in der Vergangenheit so) nicht mit den Äußerungen des Ministers kompatibel ist: Ich habe oft erlebt, dass jungen Menschen, die gerade Ausbildungen wie Fachsozialbetreuer Behinderten- oder Altenarbeit absolviert hatten (in dieser Ausbildung war ja auch die Pflegehilfe inkludiert) nur Teilzeitdienstverhältnisse angeboten wurden, da der enge Personalrahmen, der vom Land Oberösterreich festgesetzt wurde, nicht überschritten werden durfte. Und das habe ich schon als Tragik erlebt, wenn eine 20jährige junge Frau nach absolvierter Ausbildung lediglich einen Dienstvertrag mit einem Dienstverhältnis von 55 % erhält. Just zu einer Zeit, wo sie noch ungebunden ist und keine Kinder hat. Also tatsächlich locker Vollzeit arbeiten könnte und das auch möchte. Natürlich gab es die Möglichkeit einer Aufstockung des Dienstverhältnisses bei personellen Veränderungen im Team, wenn z. B. eine Kollegin in Mutterschutz und Elternkarenz wechselte – aber eben wiederum nur befristet. Unter solchen Umständen lässt sich keine Zukunftsplanung machen.
Haben Teilzeitmitarbeiter Vorteile: Ja, wenn diese echt nach geltendem Arbeitsrecht gelebt wird: Mein Berechnungsbeispiel zeigt das: Verdient man in Vollzeit bei 40 Stunden brutto € 3.000,– erhält man netto € 2.112,– das sind auf das Jahr mit 14 Gehältern gerechnet 71,6 % vom Bruttoverdienst. Bei einem Teilzeitdienstverhältnis mit 20 Stunden kommt man netto auf € 1.251,– wiederum auf das ganze Jahr mit 14 Gehältern gerechnet sind das 83,2 % vom Bruttoverdienst. Der Unterschied beträgt also knapp 12 %! Auf den Stundensatz umgelegt heißt das: In Vollzeit beträgt dieser Netto € 12,20, in Teilzeit Netto € 14,44 – also um € 2,24 je Arbeitsstunde netto mehr.
Anzumerken ist dabei: In Vollzeit beträgt auf das Jahr gerechnet die Lohnsteuer 10,46 % – In Teilzeit auf das Jahr gerechnet lediglich 1,84 %. Bei der Sozialversicherung ist es nicht ganz so gravierend aber auch hier gibt es natürlich Unterschiede: Vollzeit knapp 18 %, Teilzeit knapp 15 %.
Dazu kommt, dass in diversen Kollektivverträgen geregelt ist, dass Teilzeitmitarbeiter – wenn sie über das vereinbarte Ausmaß des Dienstverhältnisses arbeiten, entsprechende Mehrleistungszuschläge zu erhalten haben. Heißt: Sie erreichen im Schnitt keine 40 Stunden und haben schon Anspruch auf Zuschläge – die zusätzlich geleisteten Stunden sind da natürlich auch zu bezahlen. Mit einem Vollzeitdienstverhältnis wird im Schnitt erst nach der 40. Wochenstunde ein meist höherer Überstundenzuschlag zusätzlich zu den geleisteten Mehrstunden zur Auszahlung kommen.
Bei einer Vordienstzeitenanrechnung bei der Begründung eines Dienstverhältnisses und dem Festlegen einer Gehaltseinstufung sind im Regelfall frühere Teilzeitdienstverhältnisse wie auch Vollzeitdienstverhältnisse in gleich hohem Ausmaß gleichwertig zu berücksichtigen.
Die andere Seite: Viele Dienstgeber lassen sich auf Vollzeitdienstverhältnisse nicht so gerne ein, weil sie ihre Teilzeitmitarbeiter leichter zusätzlich einteilen können – weil sie bei diesen – im Gegensatz zu Vollzeitmitarbeitern – noch nicht die höheren Überstundenzuschläge zu verrechnen haben.
Und nicht immer gehen die Dienstgeber mit Teilzeitmitarbeitern fair um: Manchmal wird einfach verlangt, dass die vorhandene Arbeit eben auch in Teilzeit zu erledigen ist. Da sind mir hochspannende Geschichten bekannt!
Länger arbeiten? Minister Kocher nennt ja konkret 68 Jahre! Nun – auch hier war die gegebene Praxis, dass der Dienstgeber beim erst möglichen Pensionstermin MitarbeiterInnen in den Ruhestand schickte. Es gab kaum Männer, die bis zum 65. Lebensjahr arbeiteten – und wenn, dann betraf das lediglich die Geschäftsführung selbst. Und diese Praxis gab und gibt es in vielen Unternehmen – oft war man froh, die alten teuren MitarbeiterInnen endlich loszuwerden. Ich kenne Menschen, die sich noch der Illusion hingaben, sie könnten wohl über 65 Jahre lang noch an einer Fachhochschule oder Universität weiter unterrichten – mit 65 Jahren war im Regelfall Schluss, da die Dienstgeber nicht mitspielten.
Was ich sehe, ist dass die Diskussion weiter geführt werden wird. Kocher steht ja auch dem geringfügigen Arbeiten nicht unbedingt positiv gegenüber und ich habe in letzter Zeit immer wieder kritische Artikel zur Altersteilzeit gelesen – da wird offensichtlich gerade ein Thema angeheizt – welches viele Menschen in Österreich betrifft.
Spannend ist ja, dass erst ab dem Pensionsalter von 68 Jahren die Frauen und die Männerpension bei gleichem Berufsverlauf gleich hoch ist. Davor haben die Frauen einen besseren Pensionsberechnungsrahmen und demnach auch – fiktiv – eine höhere Pension. Bewusst ist das kaum jemandem! Als ich persönlich mit 62 Jahren in die Korridorpension ging, habe ich mir ausgerechnet, dass ich als Frau mit meinem Berufsverlauf € 900,– Brutto monatlich mehr an Pension erhalten hätte: Warum: Als Mann hatte ich Abschläge von 15,3 % als Frau hätte ich – da ich schon zwei Jahre über das derzeit noch aktuelle gesetzliche Pensionsalter der Frauen mit 60 Jahren gearbeitet hätte, Zuschläge. Das alles ist natürlich in baldiger Zukunft mit der Angleichung des Pensionsalters der Frauen an jenes Männer obsolet. Dann gilt der wesentlich schlechtere Pensionsberechnungsrahmen der Männer auch für die Frauen – Nur scheint das kaum jemand zu wissen! Die Frauen scheinen sich generell nicht sehr mit den bevorstehenden Änderungen auseinanderzusetzen: Als ich unlängst gebeten wurde, für eine Freundin (Jahrgang 1967) zu berechnen, wie denn ihre Pensionshöhe aussehen würde, wäre sie 4 Jahre älter und könne noch mit 60 Jahren in die Alterspension gehen, hat der AK-Pensionsrechner als Ergebnis errechnet, dass sie bei 4 Jahre längerem Arbeiten € 15,– Brutto mit 64 Jahren monatlich mehr an Pension erhält, als- fiktiv – mit 60 Jahren! Das ist eben der Angleichung an das männliche Berechnungssystem zu verdanken – diese „schlechtere“ Regelung hatten die Männer schon immer!
Zusammengefasst: Kochers Aussagen zeigen für mich nicht viel Kenntnis und Verständnis von der Lebensrealität in Österreich. Seine Sicht auf die Arbeitswelt zeigt für mich einen Pragmatiker, dessen Überlegungen und Ideen sich lediglich auf aktuell Sichtbares vom Schreibtisch aus beziehen. Auf die Metaebene begibt er sich nicht – und auch nicht in die reale Arbeitswelt. In größeren Zusammenhängen zu denken und Visionen für neue Lebensformen für die nächsten Jahrzehnte zu entwickeln sind nicht sein Ding. Es geht ihm auch nicht um eine bessere Qualität der Arbeit, es geht ihm nicht um die ArbeitnehmerInnen, es geht ihm nur um Zahlen! Schade!
Christian Aichmayr